Ich bin 27 Jahre alt. Ich habe über den zweiten Bildungsweg studiert. Ich arbeite seit drei Jahren in einem handfesten richtigen Job. Mir gelingen Dinge. Ich scheitere. Ich bin groß. Ich bin blond. Meine Augen sind braun. Ich bin Europäer (und somit Friedensnobelpreisträger). Man sagt mir nach ich sei nett, umgänglich, zu sehr auf Harmonie aus, zuweilen zerstreut, zu oft mit den Gedanken woanders, dass ich an meiner Zuverlässigkeit arbeiten könne. Manchmal weiß ich sehr genau wovon ich rede, manchmal nicht. Fast immer bin ich neugierig und höflich. Ich denke in Bildern und gerne (digital) vernetzt. Ich trage Anzug und bin doch gar nicht so seriös, wie alle deswegen glauben. Ich kokettiere gerne mit Images, um zu überraschen.
In meinem Leben ist Platz für vieles. Meine Familie. Meine Freunde. Meine Lieben. Für Kluges wie Unsinniges. Für Schönes wie Trauriges. Nur für eines nicht: Schubladendenken und Etikettierungswahn. Weil es bei mir und vielen, die ich kenne, am Ende doch nie gepasst hat.
Darüber schmunzle ich nur noch in Filmen wie „Up in the Air„.
Umso gespannter verfolge ich die Diskussionen um die „Generation Y“ oder auch „YOLO“ („You only live once“ – Man lebt nur einmal), die im Moment läuft und von Jungen wie Alten ausgetragen wird. Weinerlich, unentschlossen, ob der viel zu großen Auswahl an Möglichkeiten gegenüber den eigenen Erwartungshaltungen und dem Druck von außen kapitulierend und in Selbstmitleid zerfließend – so nennt man einen ganzen Schlag von Menschen, die man in öffentlichen Debatten irgendwo zwischen vergeistigt, „Hipster“ und „ewigen Berufsjugendlichen“ verordnen mag, nur um sie mit eben solchen Etiketten irgendwo und -wie in eine Schublade stecken zu können.
Was kommt nach Gen Y?
Das kann man machen, wenn einem beim ewig kritischen Blick auf die verzogenen Generationen nach einem nichts Besseres mehr zum Nölen einfällt, aber man muss als so „Abgestempelter“ deswegen ja nicht den lebenden Beweis antreten, dass es auf ewig so ist. Erst rückblickend ergeben die – meiner Meinung nach – völlig bescheuerten Versuche alles zu benennen auch nur ansatzweise Sinn. Ab wann war der Begriff der „68er“ eigentlich en Vogue? 1969? Denn – Schock schwere Not! – in der „Generation Golf“ fahren nicht alle VW und die „Generation Praktikum“ hat mittlerweile Jobs, die man selbst kreiert hat, weil es nichts gab, was man für richtig empfand und empfindet. Ich muss es wissen, bewege ich mich doch in so einem Beruf, der vor fünf Jahren kaum existent war.
Und überhaupt, die Generationen X und Y lassen nur noch das Z zu, ehe was danach kommt? Generation A2? Generation Umlaut?
„I Want It All“ war gestern und heute und morgen
Ja, „YOLO“ dient Jugendlichen heute als vermeintliche Entschuldigung für teils strunzdumme Aktionen, ist aber auch ein Zeichen dafür, dass man sich ausprobiert und Dinge hinterfragt (wenn auch nicht immer sehr clever). Natürlich kollidiert das mit den Erwartungshaltungen der Älteren, Etablierten, Etikettenvergeber und wie man sie nennen mag, weil sie dieses Verhalten nicht kennen oder ihre nicht alles hinnehmende Jugendlichkeit einfach vergessen haben. Getreu dem Motto „So war ich nie“. Und? Wo ist das Problem? Ich erinnere mich nicht, dass eine „Generation Carpe Diem“ im Vorfeld kritisiert wurde, weil sie sich mehr mit trüben Gedanken beschäftigt hätte. In der Phase der Romantik war das der Zeitgeist. Oder gab es eine „Generation Versuch macht klug“, der man Experimentierfreude missbilligend an die Stirn nagelte?
Jugendlicher Übermut sorgt nun einmal dafür, dass man mehr fordert, als man bislang (vielleicht) verdient hat. Das sorgt aber auch für Bewegung im Laden. „I Want It All“ von Queen war eine Hymne, die nicht unbedingt meine Altersgenossen in ihrer Blüte bewegte. „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ mit James Dean hat wen in die Kinos getrieben und begeistert? Die Kinder der 1990er?
Vielleicht ist der Job, an dem sich in meinen Augen vieles in all den Diskussionen aufhängt, aber auch einfach nicht mehr der Mittelpunkt des Lebens, das sich genauso wenig mit einer Work-Life-Balance in ein 50:50-Verhältnis setzen ließe wie ich die Dreier-Quoten von Dirk Nowitzki erreichen werde. Wenn ich das will, dann muss ich dafür arbeiten. Ja. Punkt. Stimmt.
Alles fließt
Aber weder „Mein Haus. Mein Auto. Mein Boot.“ noch „Geiz ist geil“ sind Credos, nach denen es sich leben ließe. Das ist Bullshit. Es gibt andere Sorgen, mit denen wir heute im Vergleich zu unseren Eltern, Großeltern oder auch Vorgesetzten zurecht kommen müssen, aber auch andere Ziele, die wir erreichen wollen. Wer kann und will, bleibt nicht mehr bis zum Ableben im eigenen kleinen Dorf, behält nicht vom 18. Lebensjahr an oder nach dem Studium ein und denselben Job bis ins Rentenalter, tauscht seinen Freundeskreis nach dem Kindergarten sukzessive immer wieder aus, weil sich Dinge nun einmal verändern … Und jeder muss zu jedem Zeitpunkt seines Lebens damit klar kommen.
Nur eines hilft da im Moment ganz sicher nicht: irgendwelche Etiketten- und Schubladen-Debatten. Lebt und fertig.
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Lustigerweise habe ich bisher eher selten jemanden getroffen, der sich mit inbrünstiger Überzeugung einer „Generation“ zurechnete oder behände in die ihm zugewiesene Schublade hüpfte. Bin ich etwa von der Generation Generationenablehner umgeben?
Ich habe den Eindruck, dass all diese Generations- und Schubladenbezeichnungen Konstrukte sind, die der Realtität höchst selten entsprechen. Es gibt viele Menschen und wir können natürlich immer mal wieder welche zusammenfassen: Anzugträger (!), Brillenträger, Breitensportler, Hobby-Ornithologen, Socken-In-Sandalen-Träger, Keine-Kohlehydrate-Nach-17-Uhr-Esser und so weiter … Das kann amüsant sein und einen Abend lang zu viel Gejohle und Gezanke bei ein paar Flaschen Bier führen.
Und immer ist die nachfolgende Generation die, der man über die Straße helfen muss. [Bitte setzen Sie hier das oft strapazierte Zitat von Sokrates über die Jugend ein.]
Lass‘ uns auf diesen Schubladenquatsch pfeifen und unser Leben leben. Immerhin sind wir doch sowieso mit Menschen aus allen möglichen Altersklassen und Lebensformen befreundet oder vernetzt. Und irgendwann stellt man fest, dass Alter oder Reife ohnehin nicht mit den Lebensjahren zu tun hat.
Die wenigsten Konstrukte bilden die Realität auch nur ansatzweise treffend ab. Da gebe ich dir sowas von Recht! Das ist immer nur Theorie, die erst mit gaaaanz viel zeitlichem Abstand vernünftig bewertet werden kann.
Alles andere ist die Suche nach einer Abgrenzung, um sich nicht in irgendwelche Diskussionen reinziehen zu lassen bzw. diese aufmachen zu können.
[…] Freund und Kollege Daniel auch noch was gutes dazu geschrieben. Allein der Titel “Von Schubladendenken un Etikettierungswahn” verlockt zum […]
[…] https://danielrehn.wordpress.com/2013/04/11/von-schubladendenken-und-etikettierungswahn/ […]
[…] an bestimmten Verhaltens- und Denkweisen vieler Menschen zu erklären. Als Überschrift habe ich „Schubladendenken“ in diesem Zusammenhang benutzt. Jeder von uns – damit bin ich mit inbegriffen – […]
[…] fährt schon so auf einen Begriff wie Fachkräftemangel ab, so wie ich? Schon eher vielleicht auf Schubladendenken, denn hier wird ja im Wesentlichen auf die Generation Y angespielt, die man ja gerne in […]