Gold Digger, das sind wir

Heute aus der Kategorie „Alte Texte, die man beim Aufräumen wiederfindet“: Eine kleine Geschichte über Goldgräber …

Es war gegen Ende des 19. Jahrhunderts, im Jahre 1896, als sich im Yukon-Territorium die Nachricht einer fantastischen Entdeckung herumsprach. Dort, in dieser so unwirklichen Welt mit ihrem rauen Klima, umzingelt von den vermeintlich Wilden, den Ureinwohnern, die nur ihren Frieden wollten, fand man Gold. Unmengen an Gold. Inmitten der ersten Wirtschaftskrise. Für viele Glücksritter war es der Startschuss sich am Klondike zu beteiligen, nachdem die einheimischen Schürfer sich fast ein Jahr ungestört dort breitmachen konnten. Sie machten sich auf, um ihren Teil vom Kuchen Reichtum für sich zu beanspruchen und Wohlstand zu erreichen – koste es, was es wolle. Es war die Zeit des Goldrausches.

Doch je mehr Goldgräber kamen, umso schwieriger wurde es sich zu behaupten. Die Claims wurden knapper und kleiner. Die Erfolge beim Abschürfen wurden geringer, da die Großen alles an sich rissen, bis es nichts mehr zu holen gab. Schlussendlich hatte man das Land ausgebeutet, die Einheimischen korrumpiert und jene, die in Einklang mit sich und ihrer Umgebung lebten, vertrieben oder so gut wie ausgerottet. Nichts war mehr, wie es vorher war.

Nun, 115 Jahre später, kann man eine ähnliche Entwicklung beobachten. Das Gold hat sich gewandelt. Es sind nun Scheine, auf die man es abgesehen hat. Der große Geldrausch, wenn man so will. Und der Klondike im Yukon ist sehr viel größer, aber auch mächtiger und gefährlicher geworden. Jetzt heißt er Social Web und vermittelt auf Außenstehende in etwa den gleichen Eindruck, wie es das Territory vermittelt haben dürfte. Wild, rau, schroff gegenüber Fremden, nur für die Natives und Hartgesottenen, die sich furchtlos ins Abenteuer um Leib und Leben zu stürzen vermögen, lebenswert, aber auch mit enormem Potential, solange man weiß, was man sucht.

Die Glücksritter von heute unterscheiden sich jedoch von den damaligen Trappern mit Abenteuerlust und den Verzweifelten, die sich in ihrer Not nicht mehr anders zu helfen wussten. Die heutigen Glücksritter, das sind wir, die Agenturen und Berater (ganz egal ob Werbung, PR, Marketing oder Kommunikation per se), die ihre ganz eigenen Claims abzustecken versuchen: Unternehmen als Kunden, die man ins Social Web zu bringen verspricht (und versucht und zuweilen auch erfolgreich).

Es klingt wie das gelobte Land. Dort, wo man nur in den Strom von Informationen und Updates greifen muss und faustgroße Nuggets puren Goldes aus dem Fluss zieht, dort ist das gelobte Land. Dort wird sich finden, wonach man gesucht hat. Dort wird sich finden, nach dem man gesucht hat. Der Konsument, der nach den Produkten giert und seit jeher nach Services darbt, ohne es gewusst zu haben.

Von den Strapazen, die wochen- und monatelanges, ergebnisloses Schürfen im eiskalten, dreckigen Wasser in einer augenscheinlich menschenfeindlichen Umgebung abverlangen, spricht man aber nur selten. Eigentlich gar nicht. Warum auch, wenn man ein paar Krümel Gold auf dem Tisch ausbreiten kann? Sie sind doch der Beweis dafür, dass man es geschafft hat. Dass man sich um sie verdient gemacht hat. Dass man ein echter Goldgräber und Schatzjäger ist, der sein Handwerk versteht. Selbst dann, wenn man eine Lupe braucht, um den Fund als solchen zu erkennen.

Die Parallelen sind verblüffend, wenn man es sich genau überlegt. Ähnlich den dort heimischen und frühzeitig im Yukon aktiven Gold Diggern waren es online-affine Agenturen und Berater, die sich eine erste Basis bei ihren Kunden schaffen konnten. Sie steckten erste Claims ab und beanspruchten die ersten (großen) Beratungsmandate für sich. Teils waren sie erfahrene Haudegen, die genau wussten, was zu tun war, wie und womit man dem Territorium zu Leibe rücken muss. Teils waren es Greenhorns, die einfach nur rechtzeitig merkten, woher der Wind wehte, sich das nötige Wissen schnell aneignen oder abgucken konnten und loslegten. Manche, die erst später dazukamen, versuchten im Vorfeld mit großen Klumpen Katzengold zu beeindrucken: „Ob wir schon lange dabei sind und Erfahrung haben? Aber natürlich! Sehen sie nur! Würden wir sonst so große Klumpen Glänzendes finden und präsentieren können?“

Wer den Unterschied zwischen Aurum und Pyrit nicht kannte oder kennt, der lässt und ließ sich von diesen Fundstücken blenden. Es ist nicht alles Gold was glänzt, ist eine Weisheit, die sich damals wie heute noch nicht so ganz herumgesprochen zu haben scheint.

Hauptsache das Gegenüber hat eine Spitzhacke und kann den Eindruck vermitteln, dass es keine Angst davor hat sich schmutzig zu machen und es zur Not auch mit seinem kleinen Karabiner im Sinne des Auftraggebers mit einem Grizzly namens Shitstorm und Indianern vom Stamm Dialog aufnimmt.

Aber warum in der Vergangenheitsform sprechen? Wir befinden uns immer noch im großen Rausch. Wenn man genauer hinschaut, nähern wir uns aber wohl schon wieder langsam seinem Ende. Nachdem Barack Obama 2008/2009 mit seinem phänomenalen Online-Wahlkampf – in der Darstellung der Medien eigentlich nur mittels Facebook und Twitter – zum US-Präsident geworden zu sein scheint und einen Augenlicht gefährdend glänzenden Nugget von der Größe einer Wassermelone in die Höhe reckte, sprach sich die Kunde vom Social Web herum, wie dereinst vom Klondike.

Heute sind nur noch wenige ganz große Unternehmens-Claims vorhanden, die abzustecken sich lohnt. Die dicken Namen, die beim richtigen Einsatz von Spitzhacke und Schürfwanne Ruhm, Ehre und – nicht zu vergessen – Reichtum versprechen. Je größer diese Namen sind, umso umkämpfter sind sie. Für alle anderen bleiben die kleinen Minen und Stollen, die zu bearbeiten nicht minder hart sind, aber auch eine Goldader in sich tragen können.

Damals hatte man als Eigner eines Claims das Recht Fremde, die unberechtigt an den eigenen Stellen schürften, abzuknallen. Das klingt aus heutiger Sicht vielleicht übertrieben, aber die Gier nach mehr Reichtum kehrt nun einmal nicht das Beste im Menschen nach außen. So hart, wie die Bandagen im Kampf um die großen Namen teils gewickelt sind und eingesetzt werden, um die anderen zu vertreiben, könnte man meinen, manche wünschen sich auch heute das Anrecht auf ein bis zwei Schuss zurück.

Mit Wohlwollen bleiben vielleicht noch zwei bis drei Jahre, dann sind die Gründe abgetragen und der erste große Rausch wird ein Ende gefunden haben. Ob er in der Folge ebenfalls für eine Überschwemmung des Marktes und den anschließenden Verfall wertiger Arbeit sorgt, das muss man nicht abwarten. Das kann man jetzt schon beobachten.

In der Zwischenzeit werden sich aber wie immer neue Adern auftun und die Züge werden weiterziehen. Aber dieses Mal liegt es in unserer Verantwortung, ob und wie wir das Territorium zurücklassen. Geplündert und verwüstet oder machen wir uns die Mühe eine überlebensfähige Umgebung zurückzulassen, die sich selbstständig regenerieren kann und auch ohne uns und unser Zutun fortbestehen kann. (Natürlich kann sie das auch alleine, es klappte ja auch vorher für sich)

Denn wenn die Konten gefüllt und die Erde „verbrannt“ sind, dann werden wir merken, dass Geld nicht das Ziel hätte sein sollen, sondern zu vermitteln, wie schön diese wilde Landschaft hätte sein können, ehe sie über die Maßen „zivilisiert“ und denaturalisiert wurde.

Wir sind es, die in neue Weiten aufgebrochen sind, um sie zu erkundrn und den Weg für die Nachzügler zu bereiten. Unterwegs sollte aber nicht vergessen werden darauf hinzuweisen, wie es sich in der „neuen Welt“ lebt und zu erklären, dass man nun auf Neuland mit eigenen Besonderheiten unterwegs ist, die es zu beachten und zu respektieren gilt.

Denn das Social Web gehört wie der Yukon niemandem und unterliegt in erster Linie seinen eigenen, natürlichen Gesetzen. Auch dann nicht, nur weil jemand auf einer Karte seine Grenzen darum gezeichnet hat. Tag und Nacht wie auch Sonbe und Regen kümmern sich nicht um Hoheiten. Nur um sich selbst und den damit verbundenen Effekt, den sie bedeuten. Sie werden sich nicht ändern, nur weil man anderes gewohnt ist. Das gilt allen, die dort leben und sich dafür einsetzen dieses Sein zu erhalten. Die Natives und Residents, die im Einklang mit sich, den anderen und ihrer Umgebung leben, wissen das. Alle anderen müssen es lernen.

Die Ureinwohner wussten das damals auch und gaben nichts auf das Gold. Vielleicht hätte man schon vor über hundert Jahren auf sie hören sollen.

Nachtrag: Mittlerweile hat sich die Sichtweise im ein oder anderen Punkt etwas gewandelt, aber die Kernaussage steht nach wie vor. Claims werden abgesteckt. Es wird geschürft und gesucht. Das Social Web wird verändert.

2 Kommentare

  1. […] Rehn beschreibt in seinem Artikel “Gold Digger, das sind wir“, wie Social Media Berater und Agenturen hinter dem Gold des Social Media hinterherjagen und […]

  2. […] über PR-Helden, die die bösen Social Media Fuzzis am Ende doch besiegen werden) und https://danielrehn.wordpress.com/2011/08/13/gold-digger/ (der Verfasser ist scheinbar recht vernarrt über die Verbindung von Social Media und […]

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