Timelineverbesserer – Warum Twitter für mich mehr ist als 150 Freunde und Follow Fridays

150. Das ist die Zahl, die gemäß dem britischen Anthropologen Robin Dunbar die tatsächliche Größe unserer Kontakte in sozialen Netzwerken ausmacht. Denn mehr können wir kaum managen, wenn wir das Pflegen von Kontakten und Beziehungen durch regelmäßigen Austausch ernst meinen, hat er herausgefunden. Basis für diese Überlegungen sind Forschungen beginnend in den 1990er Jahren, als Dunbar bei der Beobachtung von Primaten feststellte, dass diese trotz weitaus größerer Clanstrukturen immer mit den gleichen Affen interagierten. In der Folge stellte er fest, dass diese Zahl je nach Primatenspezies und Hirnvolumen variierte, weshalb er seine Ergebnisse auf das menschliche Hirn hochrechnete und – voila! – auf 150 kam.

Aus meiner Sicht greift diese Interpretation des Netzwerkdenkens für Twitter allerdings zu kurz, da meine und wohl auch die Nutzungsweise vieler anderer nicht einzig und allein auf den intensiven Dialog mit wenigen ausgerichtet ist, sondern auf das Kennenlernen von anderen, mit denen man immer wieder einmal kurz plaudert, Informationen austauscht oder weitergibt, um dann wieder „abzutauchen“. Das bedeutet im Gegenzug allerdings nicht, dass Beziehungen zwischen Twitterati weniger stabil sind, als etwa auf Facebook. Jedes erste Offline-Treffen zweier sich nur online bekannter Follower bestätigt das Gegenteil. Sie sind nur zwangloser, da sie – und an dieser Stelle wird es kompliziert – gefiltert und ungefiltert zugleich sind. Zum einen, da ich anderen Nutzern nicht nur auf Grund der Art, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, folge, sondern auch wegen der Informationen, die sie mir bringen können. Zum anderen, weil Twitter nicht mit EdgeRank oder ähnlichem arbeitet. Hier gibt es jeden Einzelnen meiner Follower ungefiltert und direkt just in time. Ganz egal, ob ich das nun wiederum mitbekomme oder nicht. Dementsprechend passiert es auch immer wieder, dass mich viele gute und kluge Updates nicht erreichen, obwohl sie es verdient hätten. Selbst „the news will find me“ kann nicht immer alle Kohlen aus dem Feuer holen … Allerdings kann mir der Follow Friday, diese hassgeliebte Tradition auf Twitter (warum Hassliebe, erkläre ich gleich), wöchentlich ins Gedächtnis rufen, dass und warum es so viele clevere Jungs und Mädels da draußen gibt. Sie alle sind bereit ihr Wissen zu teilen, um es zu mehren.

Julian Grandke geht es dabei ganz ähnlich. Auch er schätzt die „Leute, welche die sogenannte ‚extra mile‘ gehen, um den Followern einen Mehrwert zu bieten. Da gehören dann neben Inhalt auch Networking-Skills, Hilfsbereitschaft, Frequenzierung und wie so oft ein gewisses Gespür dazu„. Aus diesem Grund hat er sich seine Gedanken gemacht, wie man diesen Mehrwertspendern gerecht werden könnte, und den Bloggeraufruf „Timelineverbesserer“ gestartet (läuft noch bis zum 10. Juni). Denn wie könnte man einander noch mehr helfen, als sich Gedanken zu machen, wie man Twitter durch die eigene Kommunikation und die der anderen noch besser machen könnte. Keine Frage, es ist ein hehres Ziel, das Julian sich da vorgenommen hat, aber allein der Versuch andere zum Nachdenken anzuregen ist es mir schon wert, mir ebenfalls meine Gedanken zu machen.

Denn allein seine erste Aufforderung „beschreibt, wie eure Kommunikationsphilosophie auf Twitter bezogen aussieht“ sorgt dafür, dass ein alltäglich stattfindender Habitus nicht nur ausgeführt, sondern auch (mal wieder) hinterfragt wird. Twitter im Speziellen und Social Media im Allgemeinen sind meiner Vorstellung nach die beste Möglichkeit und Umsetzung, wie der Austausch von Wissen und dessen Mehrung durch Teilen in einem dezentralen System funktionieren können. Nirgends sonst bekomme ich die Informationen, die mich interessieren, so selbstverständlich und problemlos geliefert, wie auf Twitter. Tagesaktuelles, Entwicklungen innerhalb der Szene, laufende Diskussionen, Gedankengänge, Unterhaltendes … so gut wie alles, was mich offline bewegt, wird online durch jene wiedergespiegelt, die man als Fremde kennen und als gute, treue und liebgewonnene Weggefährten schätzen gelernt hat. Mit vielen von ihnen pflege ich seit jeher gute Freundschaften, die weit über das, was online passiert, hinausgehen, aber ohne Twitter nie zu Stande gekommen wären, da man sich sonst nicht über den Weg gelaufen wäre.

Selbstverständlich kann man jetzt auch das Argument einbringen, dass dies alles auch offline möglich wäre, aber ich bezweifle, dass sich dieselbe Bandbreite und derselbe Facettenreichtum der Leute in dieser Form wiederspiegeln ließe. Klar, der Fokus meines Netzwerkes liegt auf den Themen, die mich interessieren, und man läuft schnell Gefahr sich in einer kommunikativen Blase zu verlieren, die mit der Realität, Widerworten und Gegendarstellungen in Diskussionen nichts zu hat, aber auch hier ist jeder für sich selbst verantwortlich und kann sich von anderen, die er respektiert, führen lassen, damit es nicht einseitig wird.

Ich für meinen Teil habe großen Spaß daran den Austausch zu suchen, zu reflektieren und dabei auch einmal Meinungen konträr gegenüberzustellen. Viel wichtiger ist mir aber der Austausch mit Menschen, die einander helfen und voranbringen wollen, um sich permanent gegenseitig zu pushen, um ein weiteres Level zu erreichen. So gesehen ist es für mich im Gegenzug selbstverständlich jedem mit meinem Wissen, gefundenen Informationen und Links sowie einer großen Portion Hilfsbereitschaft das wiederzugeben, was ich von meiner Timeline jeden Tag aufs Neue erhalte. Wissen zu horten macht meiner Meinung nach einfach keinen Sinn. Wenn ich irgendwann ins Gras beiße habe ich schließlich nicht Viel davon es mitzunehmen … Teilen ist dem Gesamten gegenüber schon nützlicher. Dass man dazwischen auch einmal Smalltalk führen und Witze reißen kann, schließt sich zum Glück nicht aus 😉

Doch darüber hinaus will Julian auch wissen, „wie sich die Kommunikation untereinander auf Twitter weiter verbessern könnte„. Zu sagen „seid doch einfach alle so, wie ich es bin“ wäre wohl zu einfach, weswegen ich der vorhin angesprochenen Hassliebe zum Follow Friday widmen möchte. Als ich vor gut drei Jahren Twitter im Privaten für mich entdeckte, war mein Netzwerk relativ überschaubar, da ich nur drei Gruppen von Leuten folgte: alle, die ich persönlich kenne (und das waren wirklich wenige auf Twitter), alle, die ich digital kenne (über mein Tun als Blogger waren das schon ein paar mehr), und jene, die mich thematisch interessierten (das wieder sehr ausgewählt). So kam ich auf etwa 80 bis 90 Leute in meiner Anfangszeit und fand das alles hochspannend, bis mir „mein Teich zu klein wurde“. Auf der Suche nach weiteren interessanten Usern war mir der Follow Friday damals eine willkommene Hilfe. Mit dem Wissen, dass ich mich auf die Tipps meiner Freunde verlassen konnte, hatte ich wöchentlich neue potentielle Followings per Sammelempfehlung auf dem Radar, die ich mir mit großen Erwartungen immer wieder im Detail ansah (Profil, Bio, die letzten 10-20 Tweets, …).

Allerdings merkte ich mit der Zeit drei Dinge. Erstens: Es wurden die immerselben Namen im Paket empfohlen (in dieser Beziehung hat Dunbar also wohl doch ein wenig Recht). Zweitens: Es gab kaum eine Begründung, warum diese wenigen jede Woche aufs Neue empfohlen wurden. Und Drittens: Warum wurde Lob immer für den Freitag aufgespart, wenn man unter der Woche so viele tolle Links und Infos von diesen Leuten erhielt?

Je länger ich den Follow Friday beobachtete, umso weniger mochte ich ihn. Nicht deshalb, weil ihn jeder für sich anders interpretiert und mir die Handhabe nicht zusagt (nein, so intolerant bin ich dann doch wieder nicht), sondern weil mir der Mehrwert hinter diesen Empfehlungen fehlte und fehlt. Irgendwann habe ich versucht dezidierte Einzelempfehlungen auszusprechen, doch hier lag und liegt eines der großen Probleme: Es kostet Zeit, um sich Gedanken über jeden einzelnen Zuspruch zu machen, ohne dabei Phrasen zu dreschen. Zeit, die man für ein flüchtiges Medium wie Twitter nur selten hat, wenn man weiß, dass die eigenen Tipps zwar gehört und gelesen, aber nach fünf Minuten auch wieder vergessen werden. Deswegen hörte ich irgendwann auf beim Follow Friday mitzumachen und mich für jede einzelne Empfehlung zu bedanken. Ich freue mich zwar nach wie vor über jedes ausgesprochene Lob in FF-Form, aber wahre Respektbekundungen definiere ich für mich dann doch wieder anders.

Retweets, Einwürfe in laufende Diskussionen, Mentions bei guten Inhalten und ein offen ausgesprochenes Danke zwischendurch, ja selbst ein winziger Smiley am Ende eines Tweets sind mir mittlerweile mehr weitaus lieber als die Woche über zu sammeln, wer mich alles mit einem RT bedacht hat, um diesen dann einen automatisiert anmutenden Dank auszusprechen. Jemanden egal wann einfach zu loben, weil er oder sie einen wertvollen Beitrag zu 140-Zeichen-Gesellschaft beitragen, liegt mir da schon eher. Wahrscheinlich – und jetzt bin ich einmal mehr naiv und gutmenschlich – wäre Twitter schon ein besserer Ort, wenn wir uns nicht so anstellen würden einander zu loben – insbesondere dann, wenn wir nicht immer einer Meinung mit dem Gegenüber sind.

Ob es jemals so weit kommen wird? Keine Ahnung. Ich glaube ehrlich gesagt nicht daran. Dafür sind wir bei all unserer Hilfsbereitschaft untereinander doch zu sehr Raubtier (wieder eine andere Geschichte, die ich irgendwann noch verarbeiten möchte) … aber hin und wieder davon zu träumen ist ja auch nicht so verkehrt.

4 Kommentare

  1. Fantastischer Beitrag! Aber ich habe von dir auch nichts anderes erwartet 😉

    Viele interessante Aussagen. Diese zwei sind bei mir aber besonders hängen geblieben:

    „Selbstverständlich kann man jetzt auch das Argument einbringen, dass dies alles auch offline möglich wäre, aber ich bezweifle, dass sich dieselbe Bandbreite und derselbe Facettenreichtum der Leute in dieser Form wiederspiegeln ließe.“

    Das ist wieder diese Sache mit Theorie und Praxis. Und in der Praxis läuft es online bei diesen Dingen oftmals deutlich besser, da gebe ich dir vollkommen Recht.

    „Irgendwann habe ich versucht dezidierte Einzelempfehlungen auszusprechen, doch hier lag und liegt eines der großen Probleme: Es kostet Zeit, um sich Gedanken über jeden einzelnen Zuspruch zu machen, ohne dabei Phrasen zu dreschen. Zeit, die man für ein flüchtiges Medium wie Twitter nur selten hat, wenn man weiß, dass die eigenen Tipps zwar gehört und gelesen, aber nach fünf Minuten auch wieder vergessen werden.“

    Das ist wirklich so ein Thema für sich. Wenn die Phrasen wenigstens kreativ wären, aber dagegen setzt sich die angesprochene Flüchtigkeit des Mediums häufig zur Wehr. Wobei @webfeuerJonny hat vor kurzem für mich und ein paar andere Follower zum #FF gereimt. Das fand ich doch ganz nett. 😉

    Danke, dass du dir die Zeit genommen hast und deine Gedanken – wie so oft – mit uns teilst.

    Schönen Feiertag!

    Beste Grüße
    Julian

  2. […] Timelineverbesserer – Warum Twitter für mich mehr ist als 150 Freunde und Follow Fridays von Daniel Rehn […]

  3. su franke · · Antworten

    Danke Daniel für Deine Gedanken und das Hoch auf Twitter, hatte gestern versucht, dieses in 140 Zeichen zu giessen. Erfolglos, drum twittere ich Deinen Post gleich den gestrigen Personen 😉

  4. […] Hauke geht für euch auf „Mission Timelineverbesserung“ und Daniel gibt Antwort auf die Frage, warum Twitter mehr als 150 Freunde und Follow Fridays ist. Und vergesst nicht dem Initiator des Ganzen hier ein „Follow“ @jugrand zu […]

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