#weilwirdichlieben retrospektiv: Die Image-Kampagne der BVG in der Nachbetrachtung

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen sehr oft Welten, wenn nicht gar ganze Galaxien. Erst recht, wenn man auf Kampagnen im Social Web zu Sprechen kommt. Denn so oft wie der gute Wille und Ansatz zu erkennen sind, so oft scheitern sie an kleinen bis großen Denkfehlern.

Allein das noch recht junge Jahr 2015 hat bereits mit einigen Fallbeispielen aufgewartet, bei deren genauerer Betrachtung man zwar die handwerklich gute Ausführung zu schätzen lernt, aber auch unweigerlich ins Grübeln kommt, wieso man sich – und man kann es nicht anders sagen – so vermeintlich naiv auf das dünne Eis der öffentlichen Meinung gewagt hat.

Nur, um dann mit der professionellen Einordnung und etwas Abstand doch noch einmal alles Wahrgenommene anders zu betrachten.

#weilwirdichlieben – Handwerklich hui …

So versuchten es die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) mit einer Charmeoffensive, die sowohl off- und primär online stattfinden sollte. Unter dem Motto #weilwirdichlieben wollte man ab dem 12. Januar allen Fahrgästen im (Verkehrs-)Netz mit Herz und Hashtag näher zu kommen. Der Aufruf galt allen, ihre schönsten Momente mit der BVG zu teilen.

Die Basis stellte eine Kampagnen-Website dar, die sämtliche Update unter dem Hashtag #weilwirdichlieben aus dem Social Web heraus zusammentragen sollte und das auch immer noch tut. Der eigens eingerichtete Kampagnen-Account @BVG_Kampagne auf Twitter sollte dabei die erste Anlaufstelle für alle Dialogwilligen sein, die sich für den Service und Transport durch die Hauptstadt dankbar zeigen wollten.

Ergänzt wurde das Portfolio um die für digitale Kampagnen fast schon obligatorische Facebook-Page, einen Instagram-Account und einen YouTube-Channel. Die Kanäle selbst hatten allesamt ihre eigene Aufgabe. Instagram als Werkzeug für „Rotation Curation“, um abwechselnd Berliner Instagrammer auf Fotosafari durch das Verkehrsnetz zu schicken, Facebook für das Spielen von Informationen, Unterhaltungselementen und Kampagnenbotschaften und YouTube als Ausspielkanal der Kurz- und Kinospots zur Kampagne.

… in der Wahrnehmung pfui


Was auf den ersten Blick ganz nett wirkte, schien jedoch völlig an der Realität und Sichtweise der Berliner Pendler vorbei zu zielen. Schließlich gehört es in der Kapitale fast schon zum guten Ton den nicht immer zuverlässigen Dienst der öffentlichen Verkehrsmittel mit echter „Berliner Schnodderschnauze“ zu bedenken.

Statt herzlichem Feedback erntete der BVG fast schon folgerichtig ab Start weg einen bissigen, kritischen Kommentar nach dem anderen. Nach nicht einmal 24 Stunden Laufzeit der im analogen Raum von Plakaten und Print flankierten Kampagne war die erste Welle aus Spott, Hohn und auch mittlerweile konditionierter Empörung dermaßen groß, dass fast alle etablierten Medien darüber berichteten. Viele davon griffen dabei auf das jüngst sehr beliebte Kuratieren von Tweets zurück, um mit „digitalen Vox Pops“ die Stimmung im Netz zu spiegeln.

In der Quintessenz las es sich dann so:


In der Wirkung aber exorbitant gut

So verheerend die Wahrnehmung der Kampagne in den ersten Tagen auch schien, hatte sie ihr wichtigstes Ziel erreicht: Aufmerksamkeit. Im ersten Monat nach Kampagnenstart wurden rund 16.300 Tweets zu #weilwirdichlieben gezählt.

Nach knapp zwei Monaten (Stand 01.03.2015 12.03.2015) hat sich die Kampagne nun in einen normalen Rhythmus eingependelt und ist tatsächlich genau die Anlaufstelle im Netz geworden, die man sich zum Darstellen der Vielfalt der BVG gewünscht hat.

Der Twitter-Account @BVG_Kampagne zählt +3.100 Follower jetzt +3.300 Follower, während tagtäglich immer noch zwischen 100 bis 300 Updates zum Hashtag #weilwirdichlieben auf Twitter veröffentlicht werden, die man per Retweet ausgewählt aufgreift.

Die Facebook-Page kratzt an der 10.000 12.000-Fans-Marke und bedient sich einer der Zielgruppe absolut nahen Sprache, die mit den Mechanismen des Social Web vertraut ist. Updates zum Monatswechsel werden mit viel Ironie mit Cat Content versehen, die Oscar-Nacht wird als Bühne genutzt und selbst aktuelle Memes wie #TheDress mit der Diskussion um eine optische Täuschung wird direkt als Vorlage für einen Beitrag verwertet. Und jedes einzelne Update punktet bei der Community.

BVG_Facebook_Monatswechsel

BVG_Facebook_Oscars

BVG_Facebook_TheDress

Auf Instagram funktioniert das Rotationssystem mit wechselnden Usern, die für @BVG_weilwirdichlieben Fotos machen, so gut, dass man hier ebenfalls über 1.000 1.100 Followern aufbauen konnte, die pro Bild im Schnitt über 130 Likes verteilen.

BVG_Instagram

Selbst der nahezu inaktive und nur mit den drei Kampagnenvideos bestückte YouTube-Channel verzeichnet fast 73.000 über 74.000 Views für die Clips.

Stefan Neubauer, Leiter Digital Media Analysis bei Ausschnitt, ordnete die Kampagne im PR Journal wie folgt ein:

„Diese Kampagne ist kein Misserfolg. Die BVG konnte ihre Kunden aktivieren. Zählen wir nur das Engagement zusammen, ist die Kampagne sehr erfolgreich. Zudem bekommt die BVG unter #weilwirdichlieben gebündelt und direkt Feedback zu ihrem Service. Eine qualitative Social Media-Analyse würde im nächsten Schritt die wesentlichen Kritikpunkte zusammenfassen und Themen identifizieren, mit denen sich die BVG profilieren kann. Das wäre dann die Grundlage für weitere Kommunikationsmaßnahmen.“

Der Plan dahinter ist aufgegangen

Wie eingangs erwähnt, konnte man bei den Berliner Verkehrsbetrieben nicht davon ausgehen, dass die Kampagne auf viel Zuneigung treffen würde. Im Gegenteil. Dafür kennt man seine Klientel dann doch zu gut.

Betrachtet man nun also die Wirkung der Kampagne, die nach dem sehr harten ersten Aufschlag ihre Wirkung mehr und mehr entfaltet, wird einem klar, dass man sehr vieles richtig gemacht hat.

+++ Ein neues Schutzschild für die offizielle Kommunikation: Sämtliche genannten Accounts sind explizit für die Kampagne aufgesetzt worden. Die bereits existierenden offiziellen BVG-Accounts auf Twitter zum Beispiel – @BVG_Ubahn, @BVG_Tram und @BVG_Bus – wurden so mit einem Mal kräftig aus der Schusslinie gezogen. Ärger, Aufregung und Empörung über die Leistungen der öffentlichen Verkehrsmittel summieren sich nun zum Großteil in den Kampagnen-Accounts und unter dem Hashtag, was im Community Management wie eine große Hygieneaktion gewirkt hat.

+++ Ein Schutzschild, das Zielscheibe ist: Gemäß Analyse von Monitoring-Anbietern fällt das Sentiment den Berichten nach zwar nach wie vor zum Gros negativ oder neutral aus, allerdings schaffte #weilwirdichlieben als kalkuliertes „Bashtag“ auch eine bis dato für die BVG einmalige und auch überfällige Zielscheibe, um Kunden-Feedback direkt einsammeln zu können. Nun lässt sich gebündelt daraus lernen, um weitere Schritte einzuleiten.

+++ Ein neuer Ton wird angeschlagen: Ein Kampagnen-Account hat nicht nur seine strategischen Vorteile, sondern ermöglicht auch neue Handlungen. Zum Beispiel das eigene Lokalkolorit der „Berliner Schnauze“ im Dialog mit Kunden anzuwenden – und sich nicht immer alles vom „König Kunde“ gefallen zu lassen.

+++ Man hat verstanden die „erste Welle“ auszuhalten: Viele Kampagnen wären wahrscheinlich nach den Reaktionen der ersten 24 Stunden wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Die Verantwortlichen der BVG-Kommunikation hingegen haben genau verstanden, was man mit einer Steilvorlage wie #weilwirdichlieben lostreten würde – und dass man das aushalten muss.

Was bleibt, ist eine handwerklich gut gemachte Kampagne, die nun in aller Ruhe ihre Bahnen zieht.

Hinweis: Dieser Beitrag ist im Original gestern im Newsletter der School for Communication & Management erschienen (Link öffnet als .pdf), um im Vorfeld meines Workshops bei den Praxistagen Onlinekommunikation zu Kampagnen im Social Web am 14. und 15. April in Berlin etwas Werbung in eigener Sache zu betreiben.

6 Kommentare

  1. […] Daniel blickt nach Berlin und analysiert: #weilwirdichlieben retrospektiv: Die Image-Kampagne der BVG in der Nachbetrachtung. […]

  2. […] Kampagne | #weilwirdichlieben retrospektiv: Die BVG-Image-Kampagne […]

  3. […] angebrachte Plakat, konnte ich mein soeben verstreutes Liebesreservoir wieder auffüllen, denn die BVG liebt mich. Sogar sehr, wie ich mal vor zwei Jahren erleben durfte, ganze 40 Euro liebte sie mich […]

  4. Ich hab ein passendes Lied an die BVG hingeschickt, als das losging mit „Wir lieben dich“, ein U-Bahn-Liebeslied: https://herbertwitzel.bandcamp.com/track/kellerbahn-fee

    Antwort waren dann die üblichen Textbausteine und der Hinweis, dass eine Agentur alles macht und die BVG selber zu tun hat mit „Wir lieben dich“.
    Passt zur aktuellen Propaganda-Politik unserer sog. „Regierung“ – in jedem Puff geht es ehrlicher und anständiger zu. 😉

  5. Sorry, ich hab NICHTS vergessen, d.h. „NICHTS“, also dass „die BVG selber NICHTS zu tun hat mit >wir lieben dich<." –

  6. […] du das umsetzt, hat sich deine Investition in Social Media Kommunikation gelohnt. Case in point: Die preisgekrönte Kampagne #weilwirdichlieben für die BVG – anfangs mit Häme überschüttet, hat sie mittelfristig ihre Wirkung nicht verfehlt. Und auch […]

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